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Wissensrecycling in der Mode: „Viel Kreativität – aber kein Mut“

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Was passiert eigentlich mit all dem Wissen über die Modebranche, wenn sich, beispielsweise Designer, aus dem Business zurückziehen? – Das Wissen wird an die nachfolgende Generation von Designern weitergegeben! FashionUnited wollte natürlich auch etwas von diesem Wissen

erfahren und hat sich an den deutschen Universitäten und Hochschulen umgehört, um sich von Professoren, die für große Labels tätig waren, etwas über den Alltag in der Modebranche und die Gründe für den Austritt erzählen zu lassen.

Den zweiten Fund für die Serie machte FashionUnited in Mönchengladbach. Dort hat Ellen Bendt an der Hochschule Niederrhein eine halbe

Stelle als Professorin für Strickdesign und innovatives Produktdesign. Eine weitere halbe Professur hat sie jedoch in Hamburg an der AMD, Akademie Mode Design, – die Deutsche Bahn ist also fester Bestandteil ihres Lebens und damit sie ihr Ticket auch weiterhin gut nutzen kann, hat sich FashionUnited in Düsseldorf mit der Designerin verabredet. Bei einer großen Tasse Kaffee war genug Zeit, um über ihre Anfänge im Fashion-Business und die Gründe für den Wechsel in die Professur zu reden.

Frau Bendt, fangen wir chronologisch an, wann haben Sie Ihre Leidenschaft für die Mode entdeckt?

Ich habe schon als Kind gerne genäht und mit Textilien gearbeitet, aber die Idee, Mode beruflich zu gestalten, kam erst später, als eine Freundin von mir Modedesign studieren wollte. Da habe ich mich dann begeistern lassen und bin mitgezogen.

Dann sind Sie also direkt mit Ihrer Freundin an die nächste Modeschule und haben den Plan in die Tat umgesetzt?

Ja, genau. Ich habe in Hamburg Modedesign studiert und schon im Studium gemerkt, dass mich das Stricken und Maschenwaren ganz besonders reizen. Ich habe dann angefangen, meinen Weg in diese Richtung einzuschlagen und mit der Zeit weiter ausgebaut.

Wie sind Sie dann nach dem Studium an Ihre ersten Jobs gekommen?

Also für mich war das relativ einfach, dadurch dass ich die Spezialisierung hatte, bin ich direkt nach meinem Diplom von einer Firma, bei der ich schon während des Studiums ein wenig gearbeitet hatte, angesprochen worden. Und zwar war das die Firma Golfino Moden und Design in der Nähe von Hamburg. Das Label hat sich auf Golfmode spezialisiert und damals, als ich dort tätig war, speziell in Italien viel Strick produziert. Dort habe ich direkt als Designerin angefangen. Nach zwei Jahren bin ich jedoch zur Kammgarnspinnerei Süssen in Süddeutschland gewechselt, in der ich die Styling-Abteilung mit sechs Mitarbeitern geleitet habe. Dort habe ich hauptsächlich in der Garnentwicklung und dem Trendbereich gearbeitet, was aber ebenfalls mit der Messeplanung verbunden war. Das war also mein kurzer Ausflug in den Bereich Marketing und Messe – Modedesign von der anderen Seite betrachtet, könnte man sagen.

Was ist ansonsten zwischen dem Ausflug in den Marketing-Bereich und Ihrer Professoren-Stelle passiert?

Ich habe nach vier Jahren Festanstellung gemerkt, dass ich doch gerne etwas anderes machen möchte und dass mir eigentlich der Sinn danach stand, zurück in die Mode zu gehen, heißt: weg von der Garnentwicklung und zurück zum Design. Also bin ich zurück nach Hamburg gegangen und habe ich mich selbstständig gemacht. Zeitgleich kam das Angebot, als Lehrbeauftragte für Textiltechnologie und Maschenware an der AMD in Hamburg zu arbeiten. So habe ich langsam aber sicher mein Büro aufgebaut, konnte immer mehr Kunden gewinnen und gleichzeitig mein Wissen vertiefen und weitergeben.

Sie sind also eher in die Lehrtätigkeit rein gerutscht?

Ganz genau. Ich habe das erstmal 20 Jahre nebenbei gemacht, war aber hauptsächlich mit meinem eigenen Büro beschäftigt. Schon relativ früh konnte ich verschiedene Bereiche der Otto Group zu meinen Kunden zählen und habe dort zum einen die Kollektions- und Trendberatung gemacht, habe aber auch für verschiedene Lizenzkollektionen gearbeitet, zum Beispiel für Buffalo, die ja damals mit Otto angefangen haben. Im Wäsche-, Sportswear- und Young Fashion Bereich war ich ebenfalls tätig. Es kamen immer weitere Kunden dazu, jedoch blieb mein Schwerpunkt immer die Maschenware. So bin ich 1998 zur Firma Bosch Textil gekommen, die mich für die Bugatti Lizenz-Kollektion im Bereich Pullover, T-Shirts und Herrenhemden als federführende Designerin verpflichtete.

Und

das war dann Stress pur, für so ein großes Unternehmen zu arbeiten?

Es ist so, dass ich dort freiberuflich gearbeitet habe, genauso wie für alle anderen Kunden auch, und ich muss sagen, dass das den riesigen Vorteil hat, dass man immer den 'Blick von außen' behält. Das heißt: Man wir nicht 'betriebsblind'. Ich glaube, dass es als Designer ein großer Vorteil ist, wenn man sich diese freiberufliche Perspektive erarbeitet.

Zum anderen ist es glaube ich so, dass das heute ein ganz typisches Modell ist, dass man als Lizenzpartner auftritt. Viele Firmen haben heute Lifestyle-Kollektionen, produzieren also nicht nur ein Produkt, sondern eben eine ganze Bandbreite, die sie in Lizenzen vergeben. Und speziell bei der Firma Brinkmann in Herford, die ja der Lizenzgeber von Bugatti ist, war das immer sehr spannend und es hat sehr viel Spaß gemacht, sich mit den anderen Lizenzpartnern zu treffen und dann über Konzepte, Farben und Materialien zu diskutieren. Anschließend ist man auseinander gegangen, jeder hat seinen Bereich ausgearbeitet, um dann wieder zusammen zu kommen.

Und dann konnte man sehen, wer aus dem Konzept was gemacht hat.

Ganz genau. Das hat mal mehr und mal weniger gut geklappt, aber am Ende hat es immer eine stimmige Kollektion ergeben.

Frau Bendt, wie sehen Sie die weiteren Chancen für Deutschland als Modestandort?

Ich glaube, da muss man verschiedene Sachen unterscheiden, zum einen ist es so, dass es wirklich viele gute Marken in Deutschland gibt, die auch sehr gute Kollektionen herstellen, die Frage ist aber, wo diese Marken am erfolgreichsten vermarkten können. Für Luxusmarken, wie Hugo Boss, ist der deutsche Markt zum Beispiel nicht mehr so interessant. Da wird sehr deutlich, dass sich die Strukturen weltweit geändert haben und der gerade boomende Luxusmarkt sich eher in China, Russland und Amerika etabliert hat.

Genauso wie in der Gesellschaft gibt es eine Schere, die auf der einen Seite immer günstigere und, das muss man mal so sagen, schlechter werdende Produkte favorisiert und auf der anderen Seite eben tatsächlich das Luxusprodukt, das mit einer wirklich guten Qualität und ausgefeilten Designs nur spezielle Käuferschichten anspricht. Von daher ist es so, dass die Mitte eigentlich das ist, wo das meiste Potenzial ist, beziehungsweise wäre, und wo noch viel mehr passieren könnte, wenn man mutiger wäre. Man müsste forscher voran gehen. Ich glaube es gibt viel Kreativität – aber es ist kein Mut da.

Die Menschen trauen sich also nicht genug?

Ich glaube, die Firmen vertrauen nicht darauf, dass sie diesen Bereich gut verkaufen können. Der Kunde sucht vermeintlich nur ganz billige oder ganz teure Artikel – oder er kauft eben nach Bedarf. Der deutsche Kunde ist relativ schwierig zu begeistern, er wurde mit der Zeit von der Branche zum Schnäppchenjäger 'erzogen'. Zudem ist er nicht so sehr modeaffin, wie die Kunden in anderen Ländern. Die Marken werden über Qualität definiert, über einen hohen Standard, heißt: deutsches Design, das allerdings nicht für übermäßige Kreativität bekannt ist. Ich glaube jeodch, dass das zu Unrecht so ist. Wenn man den jungen, kreativen Talenten in diesem Land mehr Chancen einräumen würde, könnte man viel mehr bewegen. Aber das benötigt ein radikales Umdenken, sowohl in den Unternehmen, als auch bei den Leuten, die es dann kaufen sollen.

Wie kam es dazu, dass Sie sich schließlich für die Vollzeit Professur entschieden haben?

Die Idee ist dadurch entstanden, dass ich der Zeitung eine Stellenausschreibung der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach gesehen habe. Da dachte ich mir 'Mensch, das ist genau das, was ich eigentlich immer machen wollte'. – Eine Professur für Strickdesign, was es in Deutschland so gut wie gar nicht gibt, sowie innovatives Produktdesign. Außerdem war es nur eine halbe Stelle, was mir sehr entgegen kam, weil ich dadurch weiter mit meinen Kunden arbeiten konnte, zudem wollte ich auch nicht ganz aus meinem bisherigen Job raus. Deshalb war das für mich am Anfang die ideale Lösung.

Ich habe aber sehr schnell gemerkt, dass sich das schlecht vereinbaren lässt mit reisen und viel unterwegs sein, was für meine Selbständigkeit nötig war. Deshalb musste ich mich irgendwann entscheiden, was ich für mein weiteres Leben möchte. Auch aus meiner familiären Situation heraus, wie bei vielen anderen Frauen, die Kinder haben, suchte ich nach einer Möglichkeit, die zum einen die Familie zulässt, zum anderen auch eine nachhaltige Zufriedenheit im Berufsleben garantiert. Dadurch ist die Entscheidung für die zweite halbe Professur in Hamburg gefallen. Das Bewusstsein, Wissen in der gesamten Bandbreite meiner Erfahrungen an eine nächste Generation weiterzugeben, auch im Mode- und Designmanagement, erschien mir am sinnvollsten und ich habe diese Entscheidung bis jetzt nicht bereut. Ich finde sogar, dass die Professur noch innovativer und interessanter ist, als meine Designtätigkeit zuvor. Man ist nämlich gefordert weiter zu lernen, Dinge zu entwickeln, Dinge voranzutreiben, weil die Berufsbilder, für die man ausbildet, in permanenter Bewegung sind. Modedesigner von vor zehn Jahren haben ein komplett anderes Aufgabenfeld gehabt als es heute der Fall ist – und das ist etwas, das ist besonders gut finde. Ich habe kaum Fach, bei dem ich ein vorhandenes Skript aus der Schublade ziehen kann, weil sich ständig alles verändert.

Wie lösen Sie diese permanente Veränderung elegant?

Ich arbeite extrem Projektbezogen. Das lässt mich und hoffentlich auch meine Studenten nichts vermissen.

Was geben Sie Ihren Schützlingen in der Uni und der FH mit auf den Weg?

Man braucht eine gesunde Mischung aus Kreativität, kaufmännischem Denken, gutem Organisationstalent und Flexibilität– man muss eigentlich für den Multichannel-Kunden ein Multichannel-Designer und -Manager sein.

Fotos: Frau Bendt, Arbeit bei Bugatti, Werke von Studenten

Martina Michalsky